„Die Finsternis vor ihren Augen mache ich zu Licht.“ (Jesaja 42, 16)

Liebe Kolpingsschwestern, liebe Kolpingsbrüder,
niemand hätte sich die Situation und die Einschränkungen im Sozialleben, wie wir sie heute erleben, vorstellen können. Nach einer Begegnung, nach einem Telefonanruf oder auf Whatsapp hat sich der traditionelle Ruf von „Auf Wiedersehen“ auf „Bleiben Sie gesund“ verändert. Der Handdruck muss vor dem indischen Gruß mit gefalteten Händen auf Herzenshöhe und auf 2.0 m-Abstand weichen.
Innerhalb von wenigen Tagen wurde das bisherige Leben von Grund aus erschüttert. Kranke und alte Menschen dürfen nicht mehr besucht werden, die Kinder nicht mehr getauft und die Brautpaare nicht mehr getraut werden. Die Osterfreude wird via Internet, über Live-Stream und Fernsehen ausgesendet, da die Gotteshäuser leer bleiben müssen.
Viele fragen sich, wie es weitergeht und wie lange es noch dauern wird.
Sollen wir uns nicht eher fragen, was wir aus dieser Zeit lernen können und wie diese Tage, Wochen und Monate neu gestaltet werden sollen? Wie können dank neuer Impulse die nächsten Monate inhaltlich neu definiert und neue Erkenntnisse in gesellschaftlichen Beziehungen gewonnen werden?
Es ist eine neuartige, eine soziale, eine kirchliche, eine liturgische Fastenzeit, aber auch zugleich eine Zeit der neuen Orientierung und der Kreativität.
Was ist heute wichtig? Toilettenpapier und Putzmittel, Mehl und Küchenrollen, oder wichtiger noch: der Erhalt der Arbeitsplätze und die Eigendisziplin zum Schutz der Mitmenschen und zum eigenen Schutz. Wir tragen die Verantwortung für alle Menschen in unserem Lebensumfeld. Mit diesem Bewußtsein müssen wir verantwortungsvoll leben und handeln.
Wir sind in Weinheim eine lebendige Kolping-Familie mit vielen Mitgliedern. Alle Altersgruppen sind vertreten, von dem Jüngsten mit einigen Monaten bis zu den Alten über 80 Jahre. Für alle tragen wir durch unser Verhalten Verantwortung.
In diesem 21. Jahrhundert wird die weltweite Infektion mit dem Corona-Virus nicht mehr als Strafe Gottes verstanden, da oft selbst die Beziehung zu Gott fehlt. Dennoch führt die Pandemie zum Nachdenken:
– Was ist heute für mein Leben wesentlich?
– Wie kann der Alltag sich auf das Wesentliche konzentrieren und von Nebensächlichkeiten befreit werden? Eine Art Schlankheitskur für den Alltag?
– Wie können die Kontakte, die soziale Vernetzung aufrecht erhalten bleiben, neu gestaltet und neu belebt werden?
– Wie und wo erkenne ich Nöte und Sorgen in meinem Umfeld, bei Bekannten, Nachbarn, in meiner Straße? Wie sollen meine Sinne hierfür geschärft werden?
– Wie entdecke ich ohne den kirchlichen Rahmen meinen Glauben und das Gebet neu? Wie kann ich diese Erkenntnisse in der Familie, mit anderen teilen?
– Welche lebenswichtigen und geistigen Möglichkeiten können wir in der Familie zwischen Home-Office und schulfreien Tagen entdecken?
– Wo und wie kann ich zur Hoffnungsquelle in der Familie, für Nachbarn und in Verbindung mit vernetzten Arbeitskollegen werden?
„Kehrt um“ heißt es am Aschermittwoch zu Beginn der Fastenzeit. Die Corona-Krise führt uns zwangsläufig auf diesen Weg der Umkehr.
Seinen Alltag neu überdenken, sich neu orientieren, sich für einen einfacheren Lebensstil nach Entschlackung vom Überflüssigen entscheiden, die Gottes Beziehung neu entdecken, das Evangelium nicht nur in der Kirche hören, sondern aus dem Leben heute selbst Evangelium werden, neue Ressourcen zum Beleben von sozialen Verhältnissen erfahren, das sind einige Erkenntnisse aus diesen Tagen für die Nach-Corona-Zeit.
Bedeutsame Fähigkeiten eines Menschen, die im Alltag kaum wahrgenommen werden, erscheinen heute angesichts der stark eingeschränkten Begegnungsmöglichkeiten mehr denn je lebenswichtig und sozialrelevant. Es sind:
– Hoffnung und Vertrauen
– Verantwortung und Besonnenheit
– Solidarität, Hilfsbereitschaft
– Freundlichkeit
– Humor und Gelassenheit
Als Präses und Geistliche Begleiterin wollen wir in Abstimmung mit dem Vorstand alle in der Kolping-Familie in Weinheim zur gegenseitigen Unterstützung und Rücksicht in dieser Sondersituation rufen. Verantwortungsvoll und solidarisch handeln, dabei die Freundlichkeit und die Gelassenheit wirksam leben. Das sind zusammen mit dem Gebet und mit Vertrauen auf Gottes Beistand wesentliche Elemente des Widerstandes im Kampf gegen die Infektion.
Möget Ihr persönlich und in Euren Familien gesund bleiben und den Weg zur Stärkung des Lebensbewusstseins und des Glaubens neu entdecken.
Wer Sorgen hat, wem geholfen oder beigestanden werden soll, melde sich bitte beim Leitungsteam oder bei uns im geistlichen Team.
Der Herr, der sein Volk in der Bedrängnis nicht verlassen wird, segne Euch.
Er beschütze Euch und ihre Familien. Er schenke Euch Vertrauen und Gelassenheit.
Mit herzlichsten Grüßen. Treu Kolping.

Pierre Gerodez                                       Carolin Schneegaß
                 Präses                                                 Geistliche Begleitung

Druckversion            Brief an Kolping-Familie Corona 03 20